Großsteingräber und besondere Steine der Altmark zwischen Verehrung und Zerstörung

Ausstellung im Johann-Friedrich-Danneil-Museum vom 13.05. bis 06.11.2005

Die Großsteingräber der Altmark

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Die altmärkischen Großsteingräber wurden ungefähr vor 5000 – 5500 Jahren, in der mittleren Jungsteinzeit, errichtet. Als Träger der Megalithkultur gelten die Viehzüchter der sogenannten Trichterbecherkulturen. Die Siedler dieser Kulturen verzierten ihre Keramik mit tief eingestochenen Winkelbändern und Linien.

Deshalb wird diese Keramik auch als altmärkische Tiefstichkeramik (Alttiefstichkeramik) bezeichnet. Als typisches Fundinventar aus dieser Zeit gelten schön geschliffene Feuersteinbeile sowie durchbohrte Felsgesteinäxte.

Die Großsteingräber (Megalithgräber) dienten als Grabstätten, möglicherweise auch als Beinhäuser hier lebender Familien oder Sippen. Die Gräber waren aber nicht nur Grabstätten sondern auch Kult- und Versammlungsplätze. Gleichzeitig stellten sie weit sichtbare Landmarken dar, welche die Macht eines Stammes und dessen Sippen demonstrierten.

Sie wurden deshalb, den bisherigen Erkenntnissen nach, neben wichtigen Handels- und Verbindungswegen errichtet. Auffällig ist, dass alle noch heute vorhandenen Gräber niemals auf dem höchsten Punkt eines Hügel liegen sondern immer in Hanglage. Auch Straßen und Wege führen nur in äußerst seltenen Fällen über Bergkuppen.

Interessanterweise konzentrierten sich alle altmärkischen Großsteingräber auf den landwirtschaftlich nur bedingt nutzbaren Hochflächen. Noch heute ist es so, dass sich in den sandigen Endmoränengebieten südwestlich Salzwedels die größte Anzahl dieser Anlagen erhalten hat. Das bedeutet, dass es höchstwahrscheinlich zu allen Zeiten eine Wechselwirkung zwischen den landwirtschaftlich (ackerbaulich) gut nutzbaren Böden und der Errichtung und auch der späteren Zerstörung der Großsteingräber gegeben hat. Die Siedler der frühneolithischen Ackerbaukulturen, die auf gute Böden angewiesen waren, errichteten keine Großsteingräber. Zuerst zerstört wurden die Gräber dann, wo sie den Bauern in späteren Zeiten beim Beackern ihrer Felder im Wege waren. Ideologische - religiöse Gründe haben dabei wohl kaum eine Rolle gespielt.

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Man findet in der Altmark die einfachen, allerdings immer mehrjochigen, Grabkammern, die ohne Umfassung errichtet wurden, die sogenannten „Großdolmen“ oder „erweiterten Dolmen“ sowie die jüngeren Gräber mit Grabkammer und einer Umfassung, dem sogenannten „Hünenbett“.

Manchmal besaßen diese Gräber einen abgedeckten seitlichen Zugang, dann bezeichnet man sie auch als Ganggräber. Die Zwischenräume zwischen den Trag- oder Wandsteinen wurden mit kleineren, oft geschlagenen Steinen in Trockenmauerwerkstechnik („Zwickelmauerwerk“) zugesetzt. Der Boden der Grabkammern war gepflastert. In der Regel waren die gesamten Anlagen zudem noch mit Erde bedeckt. Nur die Außenseiten der Umfassungssteine und die Oberseiten der Decksteine waren wahrscheinlich zur Zeit der Erbauung der Gräber sichtbar.

Sowohl die Urform des Großsteingrabes, der „Urdolmen“, der nur aus einem Tragsteinpaar mit Deckstein besteht als auch die manchmal über 100 m langen Langbetten, in denen sich mitunter mehrere Grabkammern befinden können, konnten für die Altmark nicht nachgewiesen werden. Die größten hier noch vorhandenen Grabanlagen sind knapp 50 m lang und befinden sich in Steinfeld und Drebenstedt. Die Umfassungen können rechteckig, trapezförmig, doppelt trapezförmig als auch rund und oval gewesen sein. Als Baumaterial wurden eiszeitliche Geschiebeblöcke verwendet, deren Gewicht oft viele Tonnen betrug. Die größten Steine fanden als Decksteine und damit als Abdeckung der Grabkammer Verwendung oder sie wurden als Ecksteine der Gesamtanlage aufgestellt. Volkstümlich werden sie dann als „Wächtersteine“ ,als Wächter des Grabes, bezeichnet. Diesen gewaltigen Blöcken verdanken die Großsteingräber ihre volkstümliche Bezeichnung „Hünengrab“. Man konnte sich lange Zeit nicht vorstellen, dass die Anlagen durch Menschen errichtet worden waren, deshalb vermutete man (Riesen-) = Hünenkräfte oder manchmal Zauberei als deren Ursache. Heute findet man in der gesamten Altmark noch 47 Großsteingräber oder deren Reste, davon allein in der westlichen Altmark 39.

Sowohl die Gräber als auch viele der besonderen Steine galten sehr lange als heilige Orte. Vielerorts wurden religiöse Handlungen vollzogen. Dort hielt man auch Gericht, Volksversammlungen wurden veranstaltet und sogar Ehen geschlossen. Sehr lange waren diese Plätze dadurch vor Zerstörungen geschützt. Selbst die Christianisierung und der anschließende Kirchenbau hat diesen Denkmalen wohl keinen wesentlichen Schaden zugefügt. Man war bestrebt, die heiligen Stätten der „Heiden“ nicht zu zerstören und nutzte viele dieser Plätze, wenn auch unter anderen Vorzeichen, sogar weiter.

Viele heidnische Kultplätze wurden zu christlichen Versammlungsorten. Für die Missionare war damit ein wichtiger Sieg errungen, ohne die immer noch abergläubische Bevölkerung zu sehr gegen sich aufzubringen. Wenn die Gräber abseits lagen, dann ließ man sie aus Ehrfurcht vor den Vorfahren zu dieser Zeit meist unberührt, denn Baumaterial gab auch so genügend. Den inzwischen „christianisierten“ Einheimischen war es damit weiterhin möglich, die heiligen Plätze der Vorfahren aufzusuchen. In auffällig vielen Friedhofsmauern kann man oft große Findlinge entdecken, die, für jedermann sichtbar, in die Außenseite der Mauer eingesetzt wurden. Möglicherweise handelte es sich dabei um die Steine vormaliger heidnischer Kultanlagen, denn man band diese, wenn möglich, in die neue Kirche und den Kirchhof ein. Papst Gregor der Große (590 – 604), ordnete sogar an, dass seine Missionare in Brittannien die heidnischen Tempel nicht zerstören durften, sondern diese neu zu weihen und als Kirchen zu benutzen hätten. Auch die heidnischen Feste sollten nicht verboten werden, sondern ihnen stattdessen ein christlicher Sinn gegeben werden.

Selbst wenn also im Mittelalter beim Bau der Kirchen und Friedhofsmauern einige der Steine mitverarbeitet wurden, so hat es im 18. Jahrhundert sicher noch weit über 200 Großsteingräber in der Altmark gegeben. Die Zahl der einzelnen Findlinge war wahrscheinlich sogar noch viel größer.

Die Zerstörung der Großsteingräber, der besonderen Steine und der Steinkreuze

 

Schatzgräber oder Grabräuber, die es trotz aller Gefahren wagten, in die Gräber einzudringen und sie damit auch zu entweihen, wird es fast zu allen Zeiten gegeben haben. Allerdings waren deren Zerstörungen für die Substanz der Anlagen sicherlich nie sehr gravierend. Erst in Folge der Reformation im 16. Jh., der daraufhin im 17. Jh. einsetzenden Aufklärung aber insbesondere durch die Separationen und die Industrialisierung im 19. Jh., wurden viele der uralten Denkmäler zerstört. Die nun (un)vermeidlichen wirtschaftlichen Zwänge sorgten zusammen mit den Schriften und dem Denken dieser Zeit für die Entzauberung sowohl der Gräber als auch der Findlinge. Nicht mehr Götter, Riesen, Geister oder gar der Teufel waren verantwortlich für die Herkunft dieser Steine, sondern nur ganz einfache Menschen hatten sie einmal errichtet oder bearbeitet. Heilige Handlungen wurden hier schon lange nicht mehr vollzogen. Es konnte demnach nichts passieren, wenn man sich an ihnen vergriff, sie eingrub oder zerstörte und Scheunen, neue Kirchen, Häuser oder Straßen aus ihnen baute. Die Geister und Götter, die Bewahrer der Anlagen, hatten aufgehört zu existieren.

1838 berichtete Johann Friedrich Danneil von Sprengarbeiten und Zerstörungen an den Großsteingräbern. Zu dieser Zeit war das scheinbar nicht ungewöhnlich und galt auch nicht als sonderlich verwerflich.

Es wurde oft nur zur Kenntnis genommen. In der Folge verschwanden die Großsteingräber in rasendem Tempo aus der heimischen Landschaft. Obwohl Danneil und andere Mitglieder des 1836 gegründeten altmärkischen Geschichtsvereins sich in der Folge öffentlich dafür einsetzten, dass wenigstens die schönsten und die „sagenhaftesten“ Gräber erhalten blieben und sogar einige für den Staat aufkauften,
waren bis 1892 dennoch etwa 100 weitere Gräber verschwunden.

Theodor Zechlin, nach Danneil Sekretär des Salzwedeler Geschichtsvereins, stellte 1862 folgendes fest: „So hat es z.B. bei dem immer fühlbarer werdenden Mangel an Granitsteinen zur Wegpflasterung nicht gefehlt, dass die Grabdenkmäler der vorchristlichen Zeit, deren die Altmark besonders im Kreise Salzwedel sehr viele von ausgezeichneter Schönheit besitzt, angegriffen sind. Die Zerstörung hat sich bis jetzt nur auf bereits unvollkommene Grabstätten erstreckt, so dass die von seiner Majestät dem Hochseligen Könige Friedrich Wilhelm IV. angekauften, sowie auch die durch Schönheit, Größe und sich daran knüpfende Sagen ausgezeichneten Hünenbetten unangerührt geblieben sind. Wir danken das größtentheils den Bemühungen des Herrn Landraths von Lattorff. Bei Zerstörung der Hünengräber ist übrigens Nichts aufgefunden, was der Verein nicht schon in seinen Sammlungen besser besäße, indem das Gefundene nur in Aschenkrügen und einzelnen ehernen Geräthschaften, die überdies größtentheils zerbrochen waren, bestand.“ Hier nahm Zechlin wahrscheinlich auf die gleichzeitig in großem Ausmaße stattfindende Zerstörung der bronzezeitlichen Hügelgräber bezug, denn die „ehernen = bronzenen“ Gegenstände können nicht aus den Großsteingräbern gestammt haben.
Der ehemalige Tangelner Johann Joachim Matthias (1827- 1898), der in der Fremde zu einigem Ansehen gekommen war und kurz vor seinem Tode in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts noch einmal seinen Heimatort besuchte und dabei erschrocken feststellte, dass inzwischen die meisten Großsteingräber seiner Heimat verschwunden waren, formulierte seine resignierte Entrüstung darüber folgendermaßen*:

... „Meine Heimath zeichnete sich nämlich durch das massenhafte Vorkommen der sogenannten Hünengräber oder Hünenbeeten aus. Dieselben waren zwischen Tangeln und Rohrberg so großartig wie ich dergleichen in Deutschland nirgends gesehen habe. Diese Denkmäler aus uralten Zeiten bildlich darzustellen, erschien mir schon im Knabenalter als verdienstvolle Tath, weil ich wusste, wie sehr die gewaltigen Felsblöcke als Baumaterial begehrt wurden. Damals fehlte mir aber noch die Fähigkeit, eine einigermaßen brauchbare Darstellung der aufgethürmten Blöcke zu entwerfen und später als ich die nöthige Fertigkeit besaß, hatte die rohe Zerstörung derselben schon begonnen. Die jetzige totale Verwüstung jener Heiligthümer hat mich bei den letzten Besuchen meiner Heimath wirklich mit Groll gegen die jetzigen Bewohner derselben erfüllt. Die Habsucht und Pietätlosigkeit derselben sowie auch die Gleichgültigkeit der betreffenden Behörden gegen derartige Denkmäler, muss in den letzten 50 Jahren sehr zugenommen haben.“

* aus der Familienchronik des Johann Joachim Matthias, dankenswerter Weise von Herrn Prof. Rolf Wernstedt, Garbsen zur Verfügung gestellt.

Leider trifft vieles des Gesagten heute immer noch zu. Neben der neuerlichen Verwahrlosung vieler dieser alten Anlagen, kommen nun noch weitere Gefahren für den Erhalt dieser Bodendenkmale hinzu. Durch den z. Z. scheinbar unermesslichen Holzbedarf und der damit verbundenen Ernte des Holzes mit schwerster Technik entstehen insbesondere für die sich im Wald befindlichen Gräber bisher nicht vermutete Gefährdungen. Im Haldenslebener Forst mussten bereits, durch den rücksichtslosen Gebrauch der schweren Technik verursachte Beschädigungen an einigen denkmalgeschützten Anlagen dokumentiert werden. Auch für die Altmark sind solche Zerstörungen in naher Zukunft leider nicht auszuschließen.

Bereits 1751 hatte J. C. Bekman angemerkt: „Heut zutage pflegt man die Steine, welche bei räumung einer Gegend oder auf den aeckern im Wege liegen zu untergraben und einzusenken; und dürften endlich von diesen herrlichen Althertümern, die über 1000 jahre gestanden, mit der Zeit nichts oder wenig mehr zu sehen sein.“
Dieser Aussage Bekmanns zu folge, sind mindestens seit dem 18. Jahrhundert auch viele der großen Findlinge verschwunden. Anhand von Sagen ist das zum Teil heute noch nachvollziehbar. Relativ wenige dieser sagenhaften Steine sind noch auffindbar bzw. identifizierbar. In wenigen nachvollziehbaren Fällen liegen sie heute an einem anderen Ort, so der „Butterstein“ im Beetzendorfer Schlosspark oder ein Gedenkstein im Park von Priemern.

Der größte Teil dieser Steine ist aber verschwunden, gesprengt und bei Bauarbeiten verwendet worden oder sie stehen heute, unerkannt, auf vielen Dorfplätzen, Friedhöfen und anderen Orten. Möglich, dass einige der sagenhaften Steine auch bisher noch nicht wieder entdeckt worden sind, denn Dokumentationen dieser Denkmale fanden bisher nicht statt.
Schon seit mindestens den 1870er Jahren, verstärkt wiederum nach dem 1. Weltkrieg, wurden viele große Steine in Kriegerdenkmalen verbaut, aber auch danach stellte man noch große Gedenksteine auf.

Bedrohliche Ausmaße hat diese Sitte nach der politischen Wende 1989 angenommen, so dass man heute in vielen Dörfern und Städten der Altmark erst nach 1990 aufgestellte große Steine findet.

Bei den Steinkreuzen verhält sich das etwas anders als bei den Gräbern und Steinen, denn sie wurden erst seit dem späten Mittelalter aufgestellt. Auch von diesen Denkmalen sind aber inzwischen viele verschwunden oder zerschlagen worden. Alten Berichten nach geschah auch das teilweise bereits im 16. Jahrhundert. Was ist hier naheliegender, als dann die Reformationszeit dafür verantwortlich zu machen. Es fällt z. B. auf, das gerade die Kreuze schon lange verschwunden sind, die an Wallfahrtsorten standen wie in Bismark oder Gardelegen. Solche Plätze des gelebten „Irrglaubens“ konnte man nun nicht mehr dulden.

Allerdings stand das Kreuz als Symbol zu dieser Zeit noch außer Frage, deshalb zerstörte man sicherlich keine Kreuze, sondern setzte sie um und führte sie einem anderen Zweck zu. Einige Kreuze sind aber im Zeitalter der „Aufklärung“ tatsächlich verschwunden oder beseitigt worden.
Das Kreuz galt aber auch zeitweise in der Lesart der DDR - Funktionäre als Symbol des zu überwindenden Irrglaubens und konnte deshalb durchaus zerstört werden. So wurde z. B. das Berkauer Kreuz umgefahren, zerbrach dabei, und danach eingelagert. Nur der Umsicht eines engagierten Bürgers war es zu verdanken, dass das Kreuz nicht ganz und gar verschwand und später, wenn auch geflickt, wieder aufgestellt werden konnte. Ähnliches ist auch aus Schäplitz zu berichten, nur hier verschwand ein Kreuzstein sogar völlig.

Zur Forschungsgeschichte, zur Neuaufnahme der „Sagenhaften Steine“ und zur Ausstellung

 

1579 berichtete der Osterburger Pfarrer Christoph Entzelt in einer Chronik der Altmark bereits Sagenhaftes über einige ihm bekannte „Hünensteine“. Aber erst Johann Christoph Bekmann und dessen Bruder Bernhard Ludwig, die 1751 ein umfangreiches Werk über die Geschichte der Mark Brandenburg veröffentlichten, gebührt das Verdienst, als erste eigene Überlegungen sowie Fakten über die Größe und Standorte von 36 Großsteingräbern der Altmark niedergeschrieben zu haben. Eine weitere unbestimmte Anzahl Gräber wurden im Text zudem noch erwähnt. Einige der beschriebenen Anlagen, von denen viele 100 Jahre später bereits verschwunden waren, wurden durch den Berliner Kupferstecher F. E. Gericke abgebildet.

Das sind damit die ältesten erhaltenen Abbildungen unserer Großsteingräber. Da sich die Gebrüder Bekman aber nicht nur für die Hünengräber interessierten, beschrieben sie auch einige besondere Steine und Steinkreuze in ihrem Werk.
Johann Friedrich Danneil berichtete 1843 von insgesamt 142 Großsteingräbern, die noch, wenn manchmal auch nur in Resten, in der Altmark zu finden waren. Er hatte die Altmark vom 23. Juni bis 12. August 1842 zum Zwecke einer kompletten Aufnahme der vorhandenen Großsteingräber bereist. 1838 war er noch der Ansicht gewesen, dass sich die Zahl der in der Altmark noch vorhandenen „kolossalen Hünenbetten leicht auf ein paar Tausend“ belaufen könne.

Ab 1888 bereisten die bedeutenden Altertumsforscher Otto Schoetensack und Eduard Krause auf Bekmanns und Danneils Spuren die Altmark, um sowohl die noch verbliebenen Großsteingräber zu dokumentieren als auch weitere Berichte über verschwundene Gräber zu sammeln.

Sie konnten ermitteln, dass zu dieser Zeit in der altmärkischen Bevölkerung noch etwa 200 Anlagen bekannt waren. Tatsächlich vorhanden aber waren damals nur noch 48 Gräber bzw. deren Überreste! Veröffentlicht wurden die Ergebnisse dieser Gesamtaufnahme im Jahre 1893 in der damals in Berlin erscheinenden „Zeitschrift für Ethnologie“.

Die Dokumentation aus den Jahren 1888-92 war die letzte vollständige ihrer Art in der Altmark. Immer wieder gab es seit dieser Zeit kleinere Unternehmungen, die Großsteingräber publik zu machen. Es ist aber keine vollständige Aufnahme dieser Denkmale mehr veröffentlicht worden, so dass bisher noch immer der Stand von 1892 als gegeben angenommen werden musste.

Um diese unbefriedigende Situation zu beenden, beschlossen das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen/ Anhalt und das Johann-Friedrich-Danneil-Museum Salzwedel gemeinsam mit dem „Verein Junge Archäologen der Altmark“ eine Neuaufnahme der Gräber.
Im Sommer 2003 begannen die dafür nötigen Begehungen und Vermessungen. Diese Feldarbeiten wurden durch Dr. Barbara Fritsch vom Landesamt, Lothar Mittag vom Danneil-Museum und Martin Steinig aus Wettenbostel, dem hier noch mal ganz besonders gedankt sei, durchgeführt.

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M. Steinig, Otto Mewes/ Kleinau sowie B. Fritsch bei einer ersten Bestandsaufnahme am Grab Bretsch 2 (Kreis Stendal) im Sommer 2003. Das Grab war zur damaligen Zeit fast unzugänglich. Nachdem es durch die Gemeinde unter Anleitung von O. Mewes gereinigt und entbuscht worden war, erwies es sich im Winter 2004 als eines der schönsten Hünengräber der Altmark und konnte danach auch neu vermessen werden.(Fotos: L. Mittag, B. Fritsch)
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Die eigentliche Vermessung erfolgte mit digitalen Vermessungsgeräten zum größten Teil durch Studenten der Uni Bamberg unter Anleitung von O. Schröder
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Die großen Gräber, hier Lüdelsen 6 (im Korb: O. Schröder ), wurden zum Teil von oben fotografiert und die Ergebnisse in die digitalen Vermessungspläne übertragen

Schon bei ersten Vergleichen vor Ort stellte sich heraus, dass die Pläne von 1893 zum größten Teil unbrauchbar waren und meist nicht stimmten. Zudem sind seit dieser Zeit, obwohl die Anlagen bereits unter Denkmalschutz standen,noch immer Steine von ihnen entfernt worden. Heute sind zwar in der Altmark noch die Überreste von 47 Großsteingräbern vorhanden, von denen sind aber nur noch wenige als gut erhalten zu bezeichnen. Oft ist leider auch das Umfeld der Anlagen in keinem angemessenen Zustand.
Die notwendig gewordenen Vermessungsarbeiten wurden unter der Leitung Olaf Schröders vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie Professor Johannes Müllers, damals Universität Bamberg, mit Studenten der Universität im Februar 2004 vorgenommen.

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Plan von W. Sudhoff, links (nach Planskizzen von Krause/ Schoetensack) sowie der neue Vermessungsplan des Großsteingrabes von Drebenstedt, Altmarkkreis Salzwedel

In Vorbereitung der Ausstellung „Sagenhafte Steine“, wurde zudem noch durch das Danneilmuseum eine Neuaufnahme, der noch vorhandenen besonderen und sagenhaften Steine und Steinkreuze vorgenommen. Die Ergebnisse schlagen sich ebenfalls in der Ausstellung und in einer kleinen Publikation zu diesem Thema nieder. Aus den Ergebnissen aller Begehungen, Vermessungsarbeiten und Fotodokumentationen von 2003 bis 2005 sowie unter Auswertung historischer Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex ist die Ausstellung hervorgegangen. Der heutige Zustand wird, wenn möglich, durch aktuelle Pläne und Fotografien visuell vermittelt.

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J. Lipták zusammen mit B. Fritsch am Großsteingrab Bornsen 2; Foto: H.Bock

Ein wichtiger Bestandteil der Exposition sind Fotografien, des zumeist für das „Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen/ Anhalt“ tätigen, Berufsfotografen Juraj Lipták.

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Illustration der Sage vom Backenstein bei Lüderitz durch L. Löwe; daneben die Künstlerin am Originalschauplatz der Sage, Foto: L.Mittag

Er bereiste ebenfalls im Spätwinter 2004 die Altmark zu diesem Zweck. Da aber auch das Thema „Sagen“ eine wichtige Rolle in der Ausstellung darstellt, wurde die in Siepe/ Altmarkkreis Salzwedel lebende Künstlerin Lucie Löwe gewonnen, viele dieser Sagen zu illustrieren. Einige der Originale dieser Illustrationen sind ein ebenfalls wichtiger Ausstellungsbestandteil.

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Das Großsteingrab von Kläden vor, während und nach der Entbuschung und Reinigung durch den Verein im April 2005; Chr. Friedrich

Um eine möglichst vollständige Dokumentation der Großsteingräber vornehmen zu können, mussten viele Gräber erst wieder in einen angemessenen Zustand gebracht werden. Dazu leisteten hauptsächlich die Mitglieder des „Vereins Junger Archäologen Jübar“ viele ehrenamtliche Stunden Arbeitsstunden.

Natürlich ist auch deren Engagement mit der Hoffnung verbunden, dass sich zukünftig die zuständigen Behörden und Gemeinden vermehrt um die Sauberhaltung und den Schutz „ihrer Gräber“ kümmern werden. Erste Ansätze dazu, besonders in Bretsch sind bereits sichtbar. Nicht zuletzt spielt der Umgang mit diesen uralten Denkmalen zu allen Zeiten auch in der Ausstellung eine wichtige Rolle.

Die Großsteingräber und kultischen Steine in der Sage

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Rinnenstein vom Großsteingrab Schadewohl 1; Foto: Chr. Friedrich

Als „Hünengräber“ finden die altmärkischen Großsteingräber in der heimischen Sagenwelt seit langer Zeit ihren Platz. Noch mehr fasziniert waren unsere Vorfahren allerdings von einzelnen Findlingen oder besonderen Steinen an den Gräbern, weil diese entweder riesige Ausmaße hatten oder weil sie besondere Merkmale, wie Rinnen, Rillen oder Schälchen aufwiesen.

Die Herkunft dieser „Verzierungen“ ist in vielen Fällen bis heute nicht geklärt. Allerdings dürfte ein geistiger Zusammenhang zwischen den mittelalter- bis neuzeitlichen sogenannten „Pestlöchern“ und Wetzrillen an vielen unserer Kirchen und Steinkreuze mit den ur- und frühgeschichtlichen Schälchen und Rinnen an den kultischen Steinen bestehen. An 19 der 47 altmärkischen Großsteingräber können wir noch künstlich angefertigte Schälchen oder Rinnen finden.

Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Momentaufnahme des heutigen Zustandes. Da inzwischen nicht nur sehr viele Steine fehlen, sondern viele umgestürzt, versunken, mit Moos bewachsen, zerbrochen oder nicht von allen Seiten sichtbar sind, besteht die Möglichkeit, dass noch weitere Steine mit Schälchen oder Rinnen versehen sind. Dazu kommen noch einige Schälchen- und Rillensteine und besondere Steine für die kein Zusammenhang mit Gräbern festzustellen ist. Häufig wird es sich dabei um Steine aus Steinkreisen, also nicht um Steine von Gräbern, sondern von Anbetungs- und Opferplätzen, gehandelt haben. Wie und warum man diese Vertiefungen in den Stein gebracht hat, ist umstritten. Sicherlich wurden hier auf irgendeine Art Opfer dargebracht, kultische Handlungen vollzogen sowie heiliges „heilkräftiges“ Gesteinsmehl gewonnen. Die meisten urgeschichtlichen Schälchensteine werden heute in die Bronzezeit datiert.

Sogar noch aus dem 19. Jh. wird aber über die Verwendung von Steinmehl heiliger Plätze als Heilmittel berichtet. Einige der Rinnen allerdings könnten auch von Spaltungsversuchen aus jüngerer Zeit stammen. Für einen erst jüngst wieder entdeckten Stein bei Ellenberg ist mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass dieser komplett gespalten werden sollte. Warum dieses Unterfangen aufgegeben wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

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Sonnenuntergang am Nesenitzer Hünengrab; Chr. Friedrich

In einem Gebiet ohne gewachsenen Fels, wie der Altmark, mussten die teilweise gewaltigen Blöcke viele Fragen aufwerfen. Das Geheimnisumwitterte, das die alten Denkmale umgibt, spiegelt sich auch noch in den Sagen über die mittelalterlichen Steinkreuze wider. Erst im Laufe der Zeit sind in der Vorstellungswelt unserer Vorfahren aus vielen heiligen Plätzen von Geistern und anderen unheimlichen Gestalten bewohnte Orte geworden. „Normale“ Menschen konnten früher weder Hünengräber bauen noch die gewaltigen Findlinge transportieren, dazu waren Riesenkräfte oder Hexerei nötig oder sie waren ganz und gar Teufelswerk. Aus diesem Grunde werden die Großsteingräber auch im Volksmund als „Hünengräber“ bezeichnet. Wenn es sich denn um Gräber handelte, konnten sie natürlich nur für Riesen oder gar deren Könige errichtet worden sein. Manchmal wurden aus den Gräbern aber auch Riesenbacköfen, heidnische Opfertische oder versteinerte Hochzeitsgesellschaften bzw. Bräute.

Die Hünen hatten eine besonders schlechte Eigenschaft, die, gepaart mit ihrer riesigen Körperkraft und in der Regel recht wenig Verstand, für ihre Umwelt ziemlich gefährlich werden konnte: Sie waren sehr jähzornig. Da sie sich auch untereinander oft nicht „grün“ waren und christliche Kirchen u. ä. sowieso nicht mochten, benutzten sie ihre Riesenkräfte, um die gewaltigsten Felsblöcke auf Kirchen, Klöster oder auch gegeneinander zu schleudern. Dabei hinterließen häufig ihre Finger, manchmal aber auch die Schleuderriemen oder –ketten, aber auch Pferdehufe oder gar der Teufel in den Steinen tiefe Abdrücke.
Manchmal sind diese „Zeichen“ aber auch durch Menschen der jüngeren Vergangenheit in den Stein gemeißelt worden, wie in einigen Sagen berichtet wird. In über 70 bekannten altmärkischen Sagen spiegelt sich die Suche nach der Herkunft der Steine, der Hünengräber sowie der seltsamen Vertiefungen wieder.

Texte: Lothar Mittag, Salzwedel